Der stressige Vortag steckte uns noch etwas in den Knochen. Wir hatten vor unserer großen Überfahrt noch einiges zu erledigen. Ein Baumarktbesuch stand auf der Liste, denn wir wollten unsere Bettkonstruktion verbessern und brauchten dafür zahlreiche Latten. In unmittelbarer Nähe zum Baumarkt konnten wir die Tickets für die Fähre besorgen. Alles recht problemlos und oben drauf gab es eine Packung Kekse und eine Flasche Wein. Danach mussten wir einen Großeinkauf tätigen, um für Marokko ein paar Vorräte anzuschaffen. Jede kleine Ecke des Lkws wurde genutzt und mit Hafermilch, Milch, Müsli, etwas Alkohol, etc. gefüllt. Im Anschluss steuerten wir unseren Stellplatz an. Eine riesige betonierte Parkfläche direkt am Hafen und 10 Minuten entfernt vom Fährschalter. Perfekte Startposition für den nächsten Tag also! Jetzt mussten wir nur noch Wäsche waschen. Wir fanden in 500 m Entfernung einen Waschsalon. 3 Waschmaschinen und diverse Trocknerdurchgänge und gut 1,5 Stunden später war alles frisch und wir fix und fertig. Da wir kaum Platz in unserem kleinen mobilen Haus haben, mussten wir im Nachgang trotzdem noch die Latten anbringen. Nach einer unruhigen, windigen und lauten Nacht war es dann soweit. Der Tag startete für uns mit einem schnellen Frühstück und einem Gefühl von Vorfreude und Aufregung.
Wir erreichten gegen 9:45 den Schalter der Fährgesellschaft. Neben uns eine Reihe mit vollbeladenen PKWs. In der Schlange der Wohnmobile waren wir die Ersten. Die Fähre sollte um 11 Uhr ablegen. Gegen 10:30 passierten wir zwei Schalter.
Einer zur Passkontrolle beim anderen erhielten wir die Boardingpässe. Aus aktuellem Anlass mussten wir noch ein Infoblatt ausfüllen um sicherzustellen, dass wir uns nicht mit dem Coronavirus infiziert haben. Dann ging es los und wir durften in den Bauch der Fähre fahren. Es gab 2 Parkdecks. Wir mussten in das Obere. Mit dem LKW nicht mal eben leicht zu erreichen, aber wir wurden zum Glück von den Lotsen gut eingewiesen. Auf den oberen Decks angekommen mussten wir erneut Zettel ausfüllen und Angaben zu unserer Person machen. Dann erhielten wir endlich den Stempel im Pass. Nun konnten wir die Fahrt genießen – immerhin hatten wir einen erste Reihe Platz! …. Wenn… ja, wenn die Fähre dann losgefahren wäre. Mit der Pünktlichkeit nahm man es nicht so ernst und so starteten wir erst kurz nach 12 Uhr. Langsam, regelrecht gemütlich fuhr die Fähre vorbei an Gibraltar nach Afrika. Wellen waren kaum zusehen, dennoch merkten wir sie in unseren Bäuchen. J Die Fahrt dauerte ewig und die letzten 500 m zogen sich wie Kaugummi. Mila war tapfer und verkraftete sogar unsere Entscheidung keine Pommes zu kaufen. Für sie war die Fahrt jedenfalls (Zitat!) „totaaaaal langweilig“. (Für uns auch, zumal das Wetter keine sonderlich gute und weite Aussicht zuließ.) Der Nachteil am Parken in einer Fähre ist, wenn man zuerst reinfährt, fährt man als Letzter wieder raus. Dementsprechend lange mussten wir warten, bis wir rausfahren durften. Wir fuhren danach ungefähr 1000 Meter bis zum Zoll. Dann hieß es wieder: warten. Nach ein paar Minuten wies uns der Zollbeamte gestikulierend an wieder zurück zu fahren. Als wir dies taten, wussten wir auch wieso. Unser LKW sollte geröntgt werden.
Dafür schienen sie extra ein Röntgengerät auf LKW-Basis angeschafft zu haben. Allerdings konnte dieses pro Durchgang nur 2 Autos abfertigen und vor uns standen geschätzt ein Dutzend PKWs. (Wir waren anscheinend das einzige Wohnmobil, alle anderen wurden vorher schon durchgewunken. Wir kamen aber mit Abstand als Letztes an und dieses teure Röntgengerät muss ja genutzt werden 🙂 Während des Röntgenvorgangs durfte natürlich niemand im Fahrzeug sitzen bleiben, so zog sich jeder Durchgang eine gefühlte Ewigkeit hin. Als wir es endlich durch den Apparat geschafft hatten, ging es nochmal zurück zum Zollbeamten, der nun doch gerne mal einen Blick in unseren LKW-Aufbau werfen wollte. Er schien interessiert und am Ende der „Führung“ zufrieden. Anscheinend war alles in bester Ordnung und wir erhielten die nötigen Dokumente, mit denen wir endlich weiterfahren durften. Geschafft! Wir waren in Marokko!! Da es mittlerweile gegen 16 Uhr war (wir hatten übrigens geschätzt, dass wir gegen 13 Uhr ankommen) und wir noch kein Mittag hatten, hielten wir auf dem Parkplatz hinter der Grenze, tauschten etwas Geld und bereiteten erst einmal Essen zu.
Danach ging es auf die Autobahn. Nach einem Tankstopp fuhren wir Richtung Tanger, um dort eine SIM-Karte für unser Internet zu besorgen und am westlichen Stadtrand zu übernachten. Die Landschaft zeigte sich in einem ganz anderen Bild als noch in Spanien. Das Auffallendste war: es gab Wiesen. Saftig grüne Wiesen, Sträucher und Wälder. Überall grasten ein paar Schafe, Kühe und Esel auf riesigen Flächen. Wir schlugen uns ganz gut, fanden den Weg nach Tanger und fuhren stadteinwärts. Als der Verkehr dichter wurde und wir im Ampelverkehr anhalten mussten, sah ich auf einmal im Seitenspiegel mindestens 10 Kinder und Jugendliche (geschätzt so 12-18 Jahre), die von hinten zu unseren LKW rannten. Wir haben ja am Heck so eine Art Plattform, auf welcher sich diese jungen Menschen als blinde Passagiere Zugang verschafften, um mitzufahren. Was die Motivation dahinter war wissen wir nicht, aber einige von ihnen versuchten auch die Tür und Klappen am Aufbau zu öffnen. Wir waren in dieser Situation absolut machtlos. Jegliche Versuche die Meute vom Fahrzeug zu bekommen scheiterten. Anhalten, weiterfahren, freundliches oder wütendes Daraufhinweisen, sie sollen das Fahrzeug verlassen… ich (Anne) war mit meinen Nerven am Ende. Es schien für die Jugendlichen fast eine Art Spiel zu sein. Sie stiegen nach Ermahnung kurz runter und hielten einen kleinen Abstand zum LKW, doch sobald wir wieder anfuhren stiegen sie sofort wieder auf. Es war kein Durchkommen. Es waren auch zu viele, um irgendetwas ausrichten zu können. Wir konnten nur Weiterfahren mit dem mulmigen Gefühl jemanden bei der Fahrt zu verletzen und der absoluten Ratlosigkeit, was wir als nächstes tun sollten. Wir wussten nicht, ob sie nur in die Innenstadt gelangen wollen oder ob das eine Art Überfall oder Mutprobe für sie ist. Wir fuhren mangels Alternativen also vorsichtig weiter in Richtung Innenstadt. Vorbeifahrende Marokkaner gestikulierten wild, um uns auf die Passagiere aufmerksam zu machen. Manche Passanten riefen unseren unwillkommenen Mitfahrern auch verärgert zu, es klang als ob sie sich schämen sollten. Zum Glück kamen wir schon nach wenigen Minuten zu einer Polizeikontrolle und der Spuk fand sein Ende. Wir hielten an und die Kinder und Jugendlichen suchten sofort das Weite. Die Beamten verfolgten diese nicht weiter, entschuldigten sich bei uns aber für das Verhalten. Sie erklärten, dass sie uns nur als kostenlosen Bus-Ersatzverkehr benutzt hätten. Mein Puls war immer noch auf 180, aber wir konnten nun befreit weiterfahren. Es war mittlerweile weit nach 18 Uhr und der Verkehr entsprechend dicht bis chaotisch. Den angestrebten Telefonladen konnten wir nicht finden und ich war nun total paranoid, weil ich ständig überprüfen musste, ob sich irgendwo jemand hinter, unter oder auf unseren Lkw klemmt. Wir fuhren die letzten Kilometer zum Stellplatz an der Atlantikküste in der Nähe der Grotte des Herkules. Dieser Stellplatz sollte eigentlich kostenlos sein doch nachdem wir endlich den LKW abstellten, begrüßte uns ein (wahrscheinlich selbsternannter) Parkwächter. Wir hatten total die Nase voll und spielten deshalb sein Spiel mit. Wir verhandelten und gaben ihm letztendlich, statt den geforderten 3€, 1,50€. Er verließ uns darauf wortlos und etwas mürrisch. Die darauffolgende Nacht war sehr windig und laut. Bis spät in die Nacht parkten marokkanische Privatfahrzeuge neben uns, hörten laut Musik, genossen die Aussicht… und der (Kultur-)Schock wirkte noch etwas nach.
Ich fühlte mich in der Situation mit unseren „blinden Passagieren“ sehr hilflos. Doch als wir uns am nächsten Tag noch einmal mit dem Ereignis auseinandersetzten (Gespräche mit anderen Campern und Internetberichten) wurde mir klar, dass diese Kids auch echt hilflos sein mussten. Sehr wahrscheinlich klemmten sie sich aus ihrer Perspektivlosigkeit heraus an unseren LKW bzw. versuchten in unseren Aufbau zu kommen, in der Hoffnung mit uns nach Tanger Ville, einem weiteren Fähranlegepunkt, zu kommen. Sie wollten so vermutlich versuchen mit uns auf die Fähre nach Europa und somit über die Grenze zu gelangen. Im Internet kann man einige Erfahrungsberichte hierüber lesen und wir wussten darüber auch schon im Vorfeld Bescheid. Wir hätten nur niemals erwartet, dass uns das Stadteinwärts, noch Kilometer weit vom Hafen entfernt, passiert. Sie hätten mit uns schließlich noch knapp 10 Kilometer durch die Innenstadt Tangers mitfahren müssen, was wir uns als Szenario im Vorfeld nicht vorstellen konnten.
Dazu kommt, dass Tanger keine arme Stadt ist. Stadteinwärts sah es super gepflegt aus. Saubere Gehwege, mit kurzem Rasen und akkurat beschnittene Palmen. Gepflegte Grünanlagen und schicke Bauten. Dazu kamen uns einige Neuwagen, dicke SUVs und sogar ein Porsche entgegen. Wir hätten niemals erwartet, dass sich hier plötzlich Jungs im Alter von schätzungsweise 12-18 Jahren unter Einsatz ihres Lebens während der Fahrt an, auf und unter einen LKW klemmen, nur um allein das Land verlassen zu können. Und ich dachte gestern noch während der Fahrt, ich wäre verzweifelt und hilflos.
Jedenfalls müssen wir unseren ersten Eindruck von Tanger / Marokko erst mal verarbeiten.