Am 12.03. kamen wir nach zwei anstrengenden Tagesfahrten aus der Wüste zurück in Azrou an. Diesmal stellten wir uns mit dem LKW direkt im Zedern-Wald bei den frei lebenden Berber-Affen ab. Wir entschlossen uns an diesem Platz ein paar Nächte zu stehen, um uns von den letzten 390 km Fahrtstrecke zu erholen. Der Wald bot uns die dazu nötige Ruhe und die Affen das Bespaßungsangebot. Außerdem gab es genügend Möglichkeiten für Spaziergänge und Christian konnte mal wieder die Slack-Line spannen.
Am Abend des nächsten Tages (13.03.) trafen zwei deutsche Mädels (so Anfang 20) in ihrem VW-Transporter auf dem Stellplatz ein. Wir begrüßten uns, wechselten ein paar Worte und waren froh über die Gesellschaft. Gegen 22 Uhr klopfte es dann an unserer LKW-Tür und Noreen betrat etwas aufgelöst den Raum und kam gleich zur Sache: „Marokko hat die Grenze geschlossen!“. Wir versuchten irgendwie an aussagekräftige Informationen zu gelangen, doch das gestaltete sich auch auf offiziellen Behördenseiten mehr als schwierig. In einer ersten Hysterie überlegten wir was auf uns zukommen könnte. Zu dem Zeitpunkt war an Ausgangssperre oder Schließungen öffentlicher Plätze noch nicht zu denken, denn Marokko hatte gerade vier Corona-Fälle im gesamten Land. Im schlimmsten Fall war es für uns eine unabsehbare Zeit, die wir im fremden Land Marokko verbringen müssten. Trotzdem fühlte es sich wie „gefangen sein“ an und auch die Mädels schienen, nicht zuletzt angefeuert durch Nachrichten von Familie und Freunden, stark verunsichert. Wir hatten aber gleich die Idee, dass die Häfen Marokkos zwar geschlossen sind, dieser Beschluss aber nicht für die spanische Enklave „Ceuta“ gelten könnte. Denn die zum afrikanischen Kontinent gehörige Stadt ist Teil des spanischen Festlands. Hieße also, schafft man es über die Grenze nach Ceuta ist man bereits in Spanien und damit auf EU-Gebiet ohne jemals eine Fähre betreten haben zu müssen. Allerdings gibt es viele Berichte, dass immer wieder Flüchtlinge an/unter/auf Fahrzeugen versuchen dort über die Grenze nach Spanien zu kommen (und wir haben schon in Tanger unsere traumatischen Erfahrungen damit gemacht). Nach langem Hin und Her entschlossen wir uns trotzdem direkt am nächsten Morgen nach Ceuta zu fahren. Auch weil wir hofften, einen Informations-Vorsprung zu haben. Wir stellten uns schon die panikartige Flucht von tausenden Campern vor, die dann alle diese eine Grenzstation ansteuern würden. Wir hatten nun zu allem Überfluss eine circa 360 Kilometer lange, schlecht ausgebaute Landstraße quer durch das Atlas Gebirge (genauer Mittlerer-Atlas und Rif) vor uns.
Die beiden Mädels starteten am nächsten Morgen vor uns und bildeten damit quasi unsere Vorhut. Mit ihrem Transporter waren sie zudem auch etwas schneller als wir unterwegs. Nach ungefähr 250 km ungemütlicher Fahrt über die N13 erreichte uns die Nachricht der Mädels: „Wir kehren um. Es macht keinen Sinn. Nach Aussagen verschiedener Behörden, Fährbüros, etc. ist auch Ceuta dicht.“. Stopp. Anhalten, verarbeiten, nachdenken.
Wir überlegten uns einen gemeinsamen Treffpunkt und wählten dafür einen freien Stellplatz in der Nähe von Chefchaouen. Hier konnten wir und die Mädels erst einmal zur Ruhe kommen, die Situation verarbeiten und weitere Schritte planen. Mit jeder Stunde und mit jeder hinzukommenden Information fuhren unsere Gefühle Achterbahn. Einige stetig kreisende Gedanken hierzu: „Kacke, wir stecken hier fest! Wir kommen hier nicht weg!“ „Ach, wird schon nicht so schlimm. Wir suchen uns einen Campingplatz und machen das Beste draus!“ „Ausgangssperren können die hier sowieso nicht durchsetzen! Wegen vier Corona Fällen… Es wird sicher alles so bleiben wie bisher!“ „Dann igeln wir uns hier im Wald ein, da bleiben wir wenigstens gesund!“ „Wenn wir hier krank werden, ist die Versorgung sicher total primitiv!“ „Das Risiko mangelnder Gesundheitsversorgung hat man bei Reisen immer, daran ändert sich nichts.“ „Lieber in europäische Quarantäne als hier in Marokko!“ … Das Gedankenkarussell nahm kein Ende. Wir schmiedeten Pläne, welche zwei Stunden später wieder über Bord geworfen wurden. Dann gab es wieder eine neue Information, dann dasselbe Spiel von vorn. Schrecklich. Und immer wieder mussten wir feststellen wie schwer es war an aussagekräftige, bindende Informationen zu gelangen. Die Deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt hingen komplett hinterher. Wir kamen letztendlich zu dem Entschluss, dass es bei der Informationslage keinen Sinn macht weiter in Richtung Ceuta zu fahren. Wir hörten davon, dass bereits zu diesem Zeitpunkt rund 1000 Camper auf dieser Landzunge und auf den Straßen vor der Grenze standen und versuchten noch irgendwie Marokko zu verlassen. Die Lage war unüberschaubar und eine Verbesserung der Situation war vorerst nicht in Sicht. Wir blieben so insgesamt zwei Nächte in Chefchaouen. An unserem Stellplatz kamen hin und wieder ein paar Einheimische mit ihren Viehherden vorbei. Wir spielten mit Mila, machten mit den Mädels Lagerfeuer, spannten die Slackline und verbrachten so unsere Zeit zwischen den stündlichen Informationsupdates.
An sich hatten wir mit Noreen und Anna eine nette Zeit an einem relativ ruhigen Ort.
Und auch Mila hatte mit den beiden ihren Spaß beim Pferde-Spielen, Hindernis-Parcours und Tanzen. Insofern konnten wir uns durchaus mit dem Gedanken anfreunden ein paar gemeinsame Wochen hier in Marokko mit den beiden „festzustecken“. Am Abend des 14.03. kam allerdings vom Auswärtigen Amt die Information, dass es nun doch wieder möglich sei über Ceuta nach Spanien auszureisen. Die Lage kann sich aber stündlich ändern und es war fraglich, wie lange das Ganze noch so wäre. Außerdem hat Spanien per Dekret beschlossen am 16.03., um 8:00 Uhr seine Landesgrenzen dicht zu machen und eine Ausganssperre zu verhängen. Anfangs war unklar, ob ein Transit durch Spanien für Noreen und Anna möglich wäre. Also stand die Idee im Raum noch schnell bis nach Portugal zu gelangen, um dort die Situation gemeinsam auszusitzen. Im spanischem Dekret wurde dann aber die Durchreise zum Zweck der Rückkehr nach Deutschland erlaubt. Wir wägten also wieder einmal ab und fassten den Entschluss am nächsten Tag den Ausreiseversuch zu starten. Damit war klar, dass sich unsere Wege trennen, denn wir wollten weiter nach Portugal fahren und die Mädels nach Deutschland.
Noreen und Anna konnten im Vorfeld online ein Fährticket reservieren und machten sich wieder als Vorhut auf den Weg. Uns war dies nicht möglich, da wir nicht herausfinden konnten welche Rederei unser Fahrzeug aufgrund der Fahrzeughöhe (3,5 Meter) überhaupt transportieren kann. Wir fuhren also am 15.03. gegen 8:00 Uhr mit einem mulmigen Gefühl die letzten 130 km durch Marokko zur spanischen Grenze nach Ceuta und beteten zum einen keinem Flüchtling zu begegnen und zum anderen über die Grenze zu kommen, ein Fährticket kaufen zu können und innerhalb kurzer Wartezeit eine Fähre aufs spanische Festland zu bekommen. Zwischenzeitlich erhielten wir die Nachricht der beiden Mädels, welche es mittlerweile nach kurzer Wartezeit über die Grenze nach Ceuta geschafft haben. Ein erstes Aufatmen unsererseits. Kurz vor dem Grenzpunkt wieder einmal ein Kreisverkehr und eine kleine Gruppe marokkanischer Männer, diesmal im Alter von Anfang – Mitte 20. Sie schauten sich an einem Zebrastreifen verharrend sehr verdächtig um und nahmen bereits Anlauf um auf das vor uns fahrende Wohnmobil zu gelangen. Dieser Versuch scheiterte jedoch. Auch wir achteten diesmal darauf nicht zu langsam zu fahren oder gar zum Stehen zu kommen und konnten somit verhindern, dass einem der Männer das Aufspringen gelang. Danach mussten wir nur wenige 100 m weiterfahren und erreichten gegen 10:30 Uhr den Grenzpunkt. Die Schlange wartender Reisemobile war relativ kurz und wir konnten nach circa einer Stunde Wartezeit und einer ausführlichen Zollkontrolle passieren. Einatmen, ausatmen. Wir hatten die ersten beiden Hürden genommen. Nun waren wir also auf spanischem Land und hielten an einer Tankstelle um zu tanken. Kaum standen wir, versuchten zwei Jugendliche erneut auf unseren LKW zu klettern, wurden jedoch von der Kassiererin der Tankstelle gesehen und mit einer Lautsprecherdurchsage von ihrem Vorhaben abgehalten. Wir nutzen die Tankstelle kurzerhand als bewachte „Parkmöglichkeit“ und Christian besorgte in einem der vielen kleinen Redereibüros Tickets für unsere Fähre. Auch dies klappte einwandfrei, nur eine Wartezeit von circa 3 Stunden mussten wir in Kauf nehmen. Wir reihten uns im Anschluss am Fährschalter unserer Rederei ein und warteten. Wir nutzen die Zeit zur Zubereitung eines kleinen Mittagessens. Auch konnten wir uns mit einigen anderen deutschen Wartenden unterhalten und deren Einschätzung der Situation sowie weitere Reisepläne besprechen. Als wir dann letztendlich gegen 15 Uhr in der Fähre saßen und über das Mittelmeer schipperten, fiel mir auf jeden Fall ein riesiger Stein vom Herzen.
Angekommen in Spanien war unsere Fahrt für diesen Tag noch nicht zu Ende. Wir wollten es noch vor der Ausgangssperre und Grenzschließung nach Portugal schaffen. Wir hatten also nochmals gut 300 Kilometer bis zur portugiesischen Grenze vor uns. Kurz vor 22 Uhr überquerten wir bei Castro Marim die spanisch-portugiesische Grenze – ganz ohne Kontrolle oder irgendwelchen Schwierigkeiten. Geschafft! Fix und fertig erreichten wir einen Stellplatz kurz hinter der Grenze und realisierten langsam was an diesem Tag alles geschah.